ESC 2017: Jury vs. Publikum

Wie schon 2013, 2014, 2015 und 2016 wollen wir auch dieses Jahr einen Blick auf die detaillierten Ergebnisse des Eurovision Song Contest 2017 werfen und uns zwei Fragen widmen: Wer wurde von den Jurys abgestraft und vom Publikum nach vorn gevotet? Und bei wem ist es umgekehrt?

Die willkürlich gewählte Grenze für „signifikante“ Verschiebungen liegt auch in diesem Jahr bei 5 Punkten, denn das haben wir schon immer so gemacht. Zusätzlich werden die Beiträge betrachtet, bei denen auch geringere Verschiebungen Auswirkungen auf ihr Fortkommen im Bewerb hatten.

Zur Erläuterung: Im Abschnitt „Die Jurys“ betrachten wir, wie das Juryvoting sich auf die Endplatzierung eines Beitrags im Vergleich zum reinen Publikumsvoting ausgewirkt hat. Im Abschnitt „Das Publikum“ hingegen betrachten wir, wie sich die Endplatzierung eines Beitrags durch das Publikumsvoting verbessert/verschlechtert hat im Vergleich zur Platzierung im Juryvoting.

Los geht es mit dem

1. Halbfinale

Die Jurys

up Australien (Isaiah – Don’t Come Easy) gewinnt 9 Plätze (15 ↗ 6)

up Tschechien (Martina Bárta – My Turn) gewinnt 5 Plätze (18 ↗ 13)

down Finnland (Norma John – Blackbird) verliert 2 Plätze (10 ↘ 12)

down Montenegro (Slavko Kalezić – Space) verliert 5 Plätze (11 ↘ 16)

Der kleine Australier in der viel zu großen Kleidung wird von den Juries ins Finale gehievt. Ob sie ihm damit unbedingt eine Freude gemacht haben, sehen wir später noch. Kupferanzug-Martina finden sie auch ganz toll, aber für sie reicht es leider nicht.

Die finnische Amsel mit der Magenverstimmung kann die Juries nicht überzeugen und wird von ihnen aus dem Finale gekickt. Auch der abgespacte Haarzopfhelikoptermann aus Montenegro kann sie irgendwie nicht betören. Unglaublich!

Doch hören wir mal, was

Das Publikum

so meint.

up Belgien (Blanche – City Lights) gewinnt 9 Plätze (13 ↗ 4)

up Polen (Kasia Moś – Flashlight) gewinnt 2 Plätze (11 ↗ 9)

down Georgien (Tamara Gatschetschiladse – Keep the Faith) verliert 3 Plätze (8 ↘ 11)

down Tschechien (Martina Bárta – My Turn) verliert 6 Plätze (7 ↘ 13)

Das Publikum hat offenbar ein sehr großes Herz für verängstigte minderjährige Belgierinnen. Warum sie sie dann zwingen, im Finale noch einmal aufzutreten, versteht wohl niemand. Polen hingegen setzt nach 2014 offenbar zum zweiten Mal auf große Oberweite gepaart mit phallischer Symbolik, um dem Publikum Punkte zu entlocken – erfolgreich genug für den Finaleinzug.

Nicht so gut ergeht es hingegen Georgien und Tschechien: Sie werden vom Publikum unerbittlich in die unteren Ränge gekickt und dürfen das Finale nur von den billigen Plätzen aus mitverfolgen. Und wieder einmal sind sich Juries und Publikum uneins, ob der Tschechische Beitrag ins Finale gehört. Das häuft sich ja, gell.

Blicken wir geschwind auf das

2. Halbfinale

Die Jurys

up Niederlande (O’G3NE – Lights and Shadows) gewinnt 5 Plätze (9 ↗ 4)

up Österreich (Nathan Trent – Running on Air) gewinnt 7 Plätze (14 ↗ 7)

up Dänemark (Anja Nissen – Where I Am) gewinnt 6 Plätze (16 ↗ 10)

down Schweiz (Timebelle – Apollo) verliert 2 Plätze (10 ↘ 12)

down Estland (Koit Toome & Laura – Lost in Verona) verliert 8 Plätze (6 ↘ 14)

Die Juries finden Synchronschnipsen, den Mann im Mond und eine Frau mit kurzen Beinen geil. Dieses seltsame Fetischkonglomerat verschafft immerhin Österreich und Dänemark den Finaleinzug gegen den Willen des Publikums. Gekickt werden hingegen eine Wendeltreppe ins Nichts (knapp) sowie die touristische Erscheinung aus Estland (nicht ganz so knapp).

Das Publikum

up Ungarn (Joci Pápai – Origo) gewinnt 5 Plätze (7 ↗ 2)

up Rumänien (Ilinca feat. Alex Florea – Yodel It!) gewinnt 9 Plätze (15 ↗ 6)

up Kroatien (Jacques Houdek – My Friend) gewinnt 5 Plätze (13 ↗ 8)

down Dänemark (Anja Nissen – Where I Am) verliert 5 Plätze (5 ↘ 10)

down Serbien (Tijana Bogićević – In Too Deep) verliert 1 Plätzle (10 ↘ 11)

down Malta (Claudia Faniello – Breathlessly) verliert 8 Plätze (8 ↘ 16)

Was sagen wir zu Ungarn? Genau:

DIE JURIES WOLLTEN RUMÄNIEN NICHT INS FINALE LASSEN! SCHAFFT DIE SCHÜRIES AB!!! EIN HOCH AUF DAS PUBLIKUM!!!

Oh, die Juries wollten Kroatien nicht ins Finale lassen. Behaltet die Juries! Buuh, Publikum!

Kurzbeinige Austro-Däninnen, pardon, Australio-Däninnen sind beim Publikum dagegen nicht so angesagt. Und weiße Kleider werden gnadenlos aus den Finalrängen gekickt, egal ob mit oberkörperfreiem Tänzer (Serbien) oder ohne oberkörperfreiem Tänzer (Malta).

Finalööö, Oh-oh!

Die Jurys

up Australien (Isaiah – Don’t Come Easy) gewinnt 16 Plätze (25 ↗ 9)

up Norwegen (Jowst feat. Aleksander Walmann – Grab the Moment) gewinnt 5 Plätze (15 ↗ 10)

up Niederlande (O’G3NE – Lights and Shadows) gewinnt 8 Plätze (19 ↗ 11)

up Vereinigtes Königreich (Lucie Jones – Never Give Up on You) gewinnt 5 Plätze (20 ↗ 15)

up Österreich (Nathan Trent – Running on Air) gewinnt 10 Plätze (26 ↗ 16)

down Zypern (Hovig – Gravity) verliert 7 Plätze (14 ↘ 21)

down Polen (Kasia Moś – Flashlight) verliert 10 Plätze (12 ↘ 22)

down Ukraine (O.Torwald – Time) verliert 7 Plätze (17 ↘ 24)

Erneut schieben die Juries den Jungen mit der Mundharmonika mit den viel zu großen Schuhen gegen den Willen des Publikums in die Top 10. Selbiges passiert mit den Kill-kill-kill-kill-Cyber-Norwegern.

Wer ist eigentlich dieser Wilson Philips, von dem alle Kommentatoren reden? Der erklärt jedenfalls offenbar, warum die Niederlande so gepusht werden. Oder liegt es doch an einer Vorliebe für Gold und Glitzer? Davon profitierte auch das Vereinigte Königreich. Die Österreichische Urheberrechtsverletzung schließlich bekommt von den Juries 93 Punkte und schiebt sich damit vor auf einen soliden Platz 16 – mehr Punkte gab es dann aber an jenem Abend nicht mehr für die Alpenrepublik1. Laterne, Laterne!

Nicht so geil finden die Juries offenbar eine neue Interpretation von Linedance (Zypern), Polinnen mit Hunden und einen

Höhöhöhö. Sie alle leiden unter der Jurywertung.

Doch kommen wir nun zum wichtigsten Akteur des gesamten Bewerbs: Menschen des Eurovisionsgebiets.

Das Publikum

up Moldawien (SunStroke Project – Hey Mamma) gewinnt 5 Plätze (8 ↗ 3)

up Belgien (Blanche – City Lights) gewinnt 5 Plätze (9 ↗ 4)

up Rumänien (Ilinca feat. Alex Florea – Yodel It!) gewinnt 7 Plätze (14 ↗ 7)

up Ungarn (Joci Pápai – Origo) gewinnt 9 Plätze (17 ↗ 8)

up Frankreich (Alma – Requiem) gewinnt 7 Plätze (19 ↗ 12)

up Kroatien (Jacques Houdek – My Friend) gewinnt 9 Plätze (22 ↗ 13)

down Australien (Isaiah – Don’t Come Easy verliert 5 Plätze (4 ↘ 9)

down Niederlande (O’G3NE – Lights and Shadows verliert 6 Plätze (5 ↘ 11)

down Vereinigtes Königreich (Lucie Jones – Never Give Up on You verliert 5 Plätze (10 ↘ 15)

down Österreich (Nathan Trent – Running on Air verliert 5 Plätze (11 ↘ 16)

down Dänemark (Anja Nissen – Where I Am verliert 7 Plätze (13 ↘ 20)

Die Juries haben zwar etwas gegen gute Laune, aber das Publikum lässt sich davon nicht beirren und schiebt Moldawien in die Top 3! Darauf ein Party-GIF.

In Eurovision Moldova, sax plays you!

Von der Partystimmung profitiert ebenfalls Belgien… OK, nein, aber das Publikum hat immer noch ein Herz für verängstigte Minderjährige. Party aber bei Jodel-Rumänien (Yodele yodeleioo), dem Ungarn, der sich extra fürs Finale mal ein anderes Jäckschen angezogen hat, der Französin mit Eiffelturm im Hintergrund (wenn auch nicht durchgehend) und dem Kroaten, dessen Frosch im Hals auch noch halbwegs singen kann. Bei den beiden erstgenannten reicht es sogar für eine Top-10-Platzierung. Yay! Yodel-yay.

In der Reihe der Beiträge, die durch das Publikum abgestraft werden, finden wir vor allem alte Bekannte. Australien, Niederlande und Vereinigtes Königreich haben Beiträge, bei denen die Meinungen von Jury und Publikum so stark divergieren, dass sie direkt in beiden Aufzählungen auftauchen – an dieser Stelle als Verlierer. Dass 0 Publikumspunkte Österreich nur 5 Ränge abstürzen lassen, ist ja eigentlich skandalös, gell. Und die australische Dänin hat es immer noch nicht in die Publikumsgunst geschafft, landet aber unfairerweise noch weit hinter ihrem Landsmann.

Fazit

Kommen wir zur Gretchenfrage:

Sven, was hältst du vom Gewinner?

Lassen wir hier eine Teilnehmerin sprechen:

Gut, das ist jetzt auch fies, auf einzelnen Frames sieht man selten gut aus.
Quelle: Internet

Es ist ja folgendermaßen: Lordi fand ich damals schrecklich, Loreen fand ich damals schrecklich, Måns Zelmerlöw fand ich damals schrecklich schleimig, Jamala fand ich damals schrecklich. An alle habe ich mich gewöhnt. Über den Sieg von Salvador Sobral mit diesem 30er-Jahre-Disney-Hintergrundgedudel habe ich mich ebenfalls herrlich aufgeregt. Aber auch daran werde ich mich voraussichtlich gewöhnen.

Bis zum nächsten Jahr läuft jedoch das hier in Dauerschleife:

  1. Ich sollte mal mein Synonymwörterbuch durch eine neuere Ausgabe ersetzen.

ESC 2014: Jury vs. Publikum

Vor ca. einem Jahr habe ich mir für den Eurovision Song Contest 2013 angesehen, welche Beiträge vom Publikum und den Jurys, nun ja, „unterschiedlich bewertet“ wurden.

Direkt nach dem ESC 2014 wurden nun von der EBU detaillierte Einzelergebnisse veröffentlicht (sogar als Excel-Dateien – nett). Somit kann ich den Spaß dieses Jahr wiederholen.

Vorher möchte ich aber noch auf einen Artikel von Holger Dambeck verweisen – der hat sich ebenfalls mit den Voting-Ergebnissen des diesjährigen ESC beschäftigt und ein paar aufschlussreiche Grafiken erstellt. Highlight: Eine Übersicht darüber, ‚Wo die Fans “polnischer Folklore” wohnen‘.

Auch dieses Jahr schauen wir uns an, wo das Voting der Jury oder des Publikums das jeweils andere Voting im Endergebnis „signifikant“ verschiebt – also um mindestens 5 Plätze oder so weit, dass es für’s Finale reicht. Auch in diesem Jahr ist die 5 eine willkürlich gewählte Grenze.

Halbfinale 1

Die Jurys

down Portugal (Suzy – Quero ser tua) verliert 5 Plätze (6 ↘ 11)

up Montenegro (Sergej Ćetković – Moj Svijet (Мој свијет)) gewinnt 5 Plätze (12 ↗ 7)
up Aserbaidschan (Dilara Kazimova – Start a Fire) gewinnt 4 Plätze (13 ↗ 9)

Während das Publikum auf das doch seehr durchsichtige… Kleid? Oder ist das eine Körperbemalung? …hereinfällt, lassen sich die Jurys nicht beirren und werfen Portugal aus dem Finale – zurecht! Schließlich wurde die goldene Regel nicht beachtet: Keine Trommler oder keine Schuhe! (Wir erinnern uns da an letztes Jahr.) Und abgesehen davon wirkt die Sängerin auch sehr unmotiviert.
Dafür schaffen es Montenegro (Mäuschen!) und Aserbaidschan (etwas zu viel Gejaule für meinen Geschmack) durch die Jurypunkte ins Finale.

Das Publikum

down Albanien (Hersi – One Night’s Anger) verliert 6 Plätze (9 ↘ 15)

up Russland (Tolmatschowa-Schwestern – Shine) gewinnt 5 Plätze (11 ↗ 6)

Albanien fliegt durch das Publikum aus dem Finale – ob es am Fake-Tattoo oder am fehlenden Farbwechsel lag, man weiß es nicht. Dafür rücken Russlands Haar-Artistinnen nach (trotz Buhrufen in der Halle). Interessant: In der Jurywertung lag Russland auf dem 11. Platz, in der Publikumswertung lediglich auf dem 7. Platz – in der Gesamtwertung liegt Russland dann jedoch auf Platz 6. Da waren offenbar viele gute Einzelwertungen dabei.

Halbfinale 2

Die Jurys

down Polen (Donatan & Cleo – My Słowianie (We Are Slavic)) verliert 6 Plätze (2 ↘ 8)

up Malta (Firelight – Coming Home) gewinnt 5 Plätze (14 ↗ 9)

Die Jurys haben insgesamt wenig für großbrüstige Polinnen übrig (siehe Artikel von Holger Dambeck). Malta hingegen schafft es durch die Unterstützung der Jurys ins Finale.

Das Publikum

down Malta (Firelight – Coming Home) verliert 6 Plätze (3 ↘ 9)
down Mazedonien (Tijana Dapčević – To the Sky) verliert 6 Plätze (7 ↘ 13)

up Schweiz (Sebalter – Hunter of Stars) gewinnt 6 Plätze (10 ↗ 4)

Malta wird vom Publikum abgestraft, kann sich aber im Finale halten – für Mazedonien gilt letzteres nicht. Da helfen auch Sturmfrisur und Kapuzenhampelmann nichts. Bei Mazedonien haben wir nun das umgekehrte Phänomen zu Russland oben: In der Jurywertung auf Platz 7, beim Televoting auf der 12, insgesamt jedoch auf Platz 13.
Was an Sebalter so toll sein soll, verstehe ich bis heute nicht. Das Publikum findet den pfeifenden Zimmermann mit dem komischen Namen offensichtlich toll.

Finalöööö

Ich sag nur: Uiuiui.

Die Jurys

down Schweiz (Sebalter – Hunter of Stars) verliert 6 Plätze (7 ↘ 13)
down Polen (Donatan & Cleo – My Słowianie (We Are Slavic)) verliert 9 Plätze (5 ↘ 14)
down Weißrussland (Teo – Cheesecake) verliert 5 Plätze (11 ↘ 16)
down Griechenland (Freaky Fortune feat. Risky Kidd – Rise Up) verliert 7 Plätze (13 ↘ 20)

up Ungarn (András Kállay-Saunders – Running) gewinnt 5 Plätze (10 ↗ 5)
up Norwegen (Carl Espen – Silent Storm) gewinnt 6 Plätze (14 ↗ 8)
up Spanien (Ruth Lorenzo – Dancing in the Rain) gewinnt 7 Plätze (17 ↗ 10)

Die Jurys können sich im Finale offenbar nicht für pfeifende Zimmermänner, Polinnen hard at work, Käsekuchen und Trampoline begeistern. Was für eine bunte Mischung. Dafür wirkt der Trick mit den nassen Haaren ganz vorzüglich, der Norweger mit dem stillen Sturm bewegt ihr Herz und den Läufer aus Ungarn mit dem Theaterstück auf der Bühne finden sie auch dufte genug, ihm einen kleinen Push zu geben.

Das Publikum

down Finnland (Softengine – Something Better) verliert 6 Plätze (6 ↘ 12)
down Aserbaidschan (Dilara Kazimova – Start a Fire) verliert 13 Plätze (9 ↘ 22)
down Malta (Firelight – Coming Home) verliert 18 Plätze (5 ↘ 23)

up Ukraine (Marija Jaremtschuk – Tick-Tock) gewinnt 6 Plätze (12 ↗ 6)
up Russland (Tolmatschowa-Schwestern – Shine) gewinnt 6 Plätze (13 ↗ 7)
up Rumänien (Paula Seling & Ovi – Miracle) gewinnt 5 Plätze (16 ↗ 9)
up Schweiz (Sebalter – Hunter of Stars) gewinnt 9 Plätze (22 ↗ 13)
up Polen (Donatan & Cleo – My Słowianie (We Are Slavic)) gewinnt 6 Plätze (23 ↗ 14)

O-ha. Dass das Publikum nicht so begeistert von den Darbietunge Aserbaidschans und Maltas ist, wissen wir ja schon. Die beiden aber aus den Jury-Top-Ten gleich um 13 (Aserbaidschan) bzw. gar um 18 Plätze (armes Malta) nach hinten zu verbannen, ist schon extrem hart. Da ist die Herabstufung von Finnland ja noch nett dagegen.
Die Fans von polnischer Folklore und Schweizer Gepfeife können sich im Finale nicht mehr gegen das vernichtende Urteil der Jurys durchsetzen, und so bleibt es trotz eines kräftigen Schubs bei einer Platzierung außerhalb der Top Ten. Dass das rumänische Rundklavier tatsächlich Stimmen an Land gezogen hat hat, kann ich auch jetzt noch nicht richtig glauben. Russland wird vom Publikum in die Top Ten versetzt (politische Abstimmung am Arsch, Herrschaften!) und die Ukraine rollt samt Hamsterrad (♥ für das Hamsterrad) ebenfalls auf einer Welle der Publikumsbegeisterung in die Top Ten. Vielleicht lag’s aber auch hier lediglich am Dekolleté.

ESC 2013: Jury vs. Publikum

Vor etwa einer Woche hat die EBU die getrennten Abstimmungsergebnisse von Jurys und Publikum im ESC-Finale 2013 sowie in den beiden Halbfinale veröffentlicht.

Auch in diesem Jahr spendierte man dem ESC eine neue Abstimmungsregel (kurze Erläuterung auf Wikipedia), mit der es allerdings einer Jury noch einfacher gemacht wurde, Publikumslieblinge herabzustufen. Und umgekehrt natürlich.

Welche Auswirkungen hat das nun konkret? Bei wem unterscheiden sich Jury- und Publikumsurteil so stark, dass sich ohne die jeweils andere Partei signifikant bessere/schlechtere Platzierungen ergeben würden?

Halbfinale 1

Die Jurys

Im Vergleich zur Sortierung, die durch ausschließliche Wertung des Publikumsvotings zustande gekommen wäre, sorgt die Jurywertung im Endergebnis für folgende signifikante1 Verschiebungen:

down Montenegro (Who See & Nina Žižić – Igranka) verliert 8 Plätze (4 ↘ 12)

up Moldawien (Alina Moon – O mie) gewinnt 7 Plätze (11 ↗ 4)

Somit kicken die Jurys insgesamt Montenegro und schickt stattdessen Moldawien ins Finale. Bei den Astronauten und der Cyborg-Madame handelt es sich offenbar um Publikumslieblinge, für die die Jurys sich nicht begeistern können. Dass das Publikum Alina Moon trotz Trickkleid und atemberaubender Sturmfrisur auf die hinteren Ränge verweisen will, überrascht dann doch etwas.

Das Publikum

… hat anscheinend etwas gegen Österreich:

down Österreich (Natália Kelly – Shine) verliert 9 Plätze (5 ↘ 14)

Dadurch rutscht Litauen noch in die Top 10, Österreich scheidet trotz netten Liedes im Halbfinale aus. Aber okay, da sind weder Dubstep noch Trickkleid, Trommeln oder Flöte dabei UND die Dame hat ihre Schuhe noch an. So wird das natürlich nix.

Halbfinale 2

Im zweiten Halbfinale geht es nochmal ein Stückchen heißer zur Sache.

Die Jurys

down Schweiz (Takasa – You and Me) verliert 8 Plätze (5 ↘ 13)
down Bulgarien (Eliza & Stojan – Samo Shampioni (Only Champions)) verliert 6 Plätze (6 ↘ 12)

Die Heilsarmee, Verzeihung, eine Großfamilie mit Instrumenten, sowie ein heftig grinsendes Pärchen mit Riesentrommeln vermögen die Jurys nicht zu begeistern. Zur Strafe fliegen sie aus dem Finale, Armenien und Georgien rücken nach.

Das Publikum

down Georgien (Sopho Gelowani & Nodiko Tatischwili – Waterfall) verliert 5 Plätze (5 ↘ 10)
down Israel (Moran Mazor – Rak bishvilo (‏רק בשבילו) verliert ebenfalls 5 Plätze (9 ↘ 14)

up Rumänien (Cezar – It’s My Life) gewinnt 8 Plätze (13 ↗ 5)
up Bulgarien (Eliza & Stojan – Samo Shampioni (Only Champions)) gewinnt 5 Plätze (17 ↗ 12)

Während Georgien noch den Finaleinzug schafft, wird Israel hinter die magische 10-Teilnehmer-Grenze befördert. Heißer Tipp: beim nächsten Mal das Kleid etwas weiter schließen. San Marino verliert nur einen Platz, landet dadurch aber auf dem undankbaren elften Rang und scheidet ebenfalls aus. Publikumsliebling Cezar aus Rumänien (bei dem das Trickkleid fast so hoch wie die Stimme kommt) und Ungarn (ByeAlex mit Kedvesem im Zoohacker Remix) können sich hingegen durch die Gunst der Zuschauer über den Finaleinzug freuen.

Das große Finale

Im Finale setzt sich so mancher Trend fort. Dänemark hat bei den Jurys und noch deutlicher beim Publikum das Näschen vorn und gewinnt den ESC 2013.

Es folgt wieder die Übersicht über die Abweichungen um mindestens 5 Ränge.

Die Jurys

down Rumänien (Cezar – It’s My Life) verliert 6 Plätze (7 ↘ 13)
down Island (Eyþór Ingi Gunnlaugsson – Ég á líf) verliert 5 Plätze (12 ↘ 17)
down Irland (Ryan Dolan – Only Love Survives) verliert 12 Plätze (14 ↘ 26)
down Deutschland (Cascada – Glorious) verliert 5 Plätze(16 ↘ 21)

up Belgien (Roberto Bellarosa – Love Kills) gewinnt 5 Plätze (17 ↗ 12)
up Moldawien (Aloina Moon – O mie) gewinnt 8 Plätze (19 ↗ 11)
up Georgien (Sopho Gelowani & Nodiko Tatischwili – Waterfall) gewinnt 8 Plätze (23 ↗ 15)

Na, da haben die halbnackten Trommler aus Irland aber jemandem gar nicht gefallen. Bei den beiden Podesttrickkleidkandidaten aus Rumänien und Moldawien setzen sich die konträren Bewertungen von Publikum und Jurys auch im Finale fort. Der arme Cezar wurde einfach aus den Top 10 gekickt. Und: Die Jurys haben recht, Belgiens Tänzerinnen waren einfach die besten! <3

Das Publikum

down Schweden (Robin Stjernberg – You) verliert 11 Plätze (3 ↘ 14)
down Moldawien (Alina Moon – O mie) verliert 6 Plätze (5 ↘ 11)
down Frankreich (Amandine Bourgeois – L’enfer et moi) verliert 11 Plätze (12 ↘ 23)
down Finnland (Krista Siegfrids – Marry Me) verliert 6 Plätze (18 ↘ 24)

up Russland (Dina Garipowa – What if) gewinnt 5 Plätze (10 ↗ 5)
up Griechenland (Koza Nostra feat. Agathonas Iakovidis – Alcohol Is Free) gewinnt 6 Plätze (14 ↗ 6)
up Ungarn (ByeAlex – Kedvesem (Zoohacker Remix)) gewinnt 11 Plätze (21 ↗ 10)
up Weißrussland (Aljona Lanskaja – Solayoh) gewinnt 6 Plätze (22↗ 16)
up Rumänien (Cezar – It’s My Life) gewinnt 11 Plätze (24 ↗ 13)

Schwedens Justin-Bieber-Kopie wird vom Publikum abgestraft, ebenso Frankreichs… ääh… Damenwrack. Überraschend (?) gut kommt der Herr mit Mütze aus Ungarn beim Publikum an. Die Weißrussin aus der Discokugel rutscht in ihrem sehr knappen Kleidchen etwas weiter nach vorn, und der Rumäne macht einen gewaltigen Satz Richtung Spitze. Griechenland bekommt noch einen Platz in den Top 10 und Russland Gummipunkte aus kleinen Ländern.

Fazit

Sehr interessant ist die unterschiedliche Bewertung der Auftritte der Nachbarn Moldawien und Rumänien: Beide haben lustige hydraulische Trickkleider (gibt es da Technologieaustauschabkommen?), aber die Jurys finden die Moldauerin toll und den Rumänen doof, das Publikum genau umgekehrt.

Dass eine durchschnittlich bessere Bewertung nicht zwangsläufig zu mehr Punkten führt, zeigt sich vor allem im hinteren Bereich der Tabelle. Irland beispielsweise bekommt in der Jurywertung durchschnittlich Platz 16,21 und vom Publikum Platz 14,62. Dennoch liegen Länder wie Spanien (19,64 | 22,92) oder Litauen (17,95 | 16,73), die in beiden Kategorien schlechtere Werte haben, in der Endwertung vor Irland. Für Platzierungen > 10 gibt es von den von den einzelnen Ländern halt leider keine Punkte mehr, so dass dann hohe Einzelwertungen über die Reihenfolge bestimmen.

Dies bedeutet auch, dass eine bessere oder schlechtere Platzierung nicht generell durch Jurys oder das Publikum verursacht werden muss. Da die EBU darauf verzichtet, die einzelnen Jury- und Publikumsergebnisse nach Ländern aufgeschlüsselt zu veröffentlichen, ist dies auch von extern nicht nachprüfbar. Ein solcher Zusammenhang sieht nur relativ wahrscheinlich aus.

  1. „signifikant“ im Sinne von „5 oder mehr Plätze Unterschied“. Dieser Schwellwert ist willkürlich gewählt.