Vom Nichtwählen

Nehmen wir einmal an, unser Studierendenparlament schafft das Semesterticket ab. Wegen zu teuer. Oder weil die Liste Die LISTE eine 50%+X-Mehrheit bekommen hat und mehr Fußvolk produzieren will, was weiß denn ich. Sagen wir einfach, sie tun es. Und reden dann nicht mehr drüber.

Wann würde das den Leuten auffallen?

Eine Handvoll Studierender merkt es sofort, denn sie sind auf der Sitzung live dabei. Ich zum Beispiel oder etwa die Hälfte der Parlamentarier. Aber ich will ja gucken was passiert, also erzähle ich es nicht weiter.

Einige erfahren es dann aus der BAStA. Die bringt sicher einen kleinen Info-Artikel zum Thema, in dem steht, dass es ab nächstem Semester kein Semesterticket mehr gibt. Von diesen Leuten wandert die Nachricht dann per Mund-zu-Ohr-Propaganda in den diversen Kreisen weiter und wird meist mit einem verblüfft-entsetzten Schulterzucken quittiert.

Die neuen Erstsemester blicken erstaunt, wenn sie bei der ÖPNV-Recherche erfahren, dass es in Bonn kein Semesterticket (mehr) gibt und sie reguläre Tickets lösen müssten, viele orientieren sich spontan zur renommierten Uni Köln um. Das Fachschaftenreferat schreibt eine Rundmail an alle Fachschaften, die allerdings nur von der Hälfte der Empfänger zur Kenntnis genommen und an die Erstsemester weitergegeben wird. Ein paar Fachschaften wollen vielleicht protestieren, aber dann wollen die Erstis versorgt werden und dann ist eh schon wieder fast Weihnachten und da hat man dann Wichtigeres zu tun.

Und vom Rest merken es einige erst, wenn sie im nächsten Semester in der S-/U-/Tram-Bahn kontrolliert werden und vom SWB-Personal darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie gar kein Ticket haben. Hätte man aber auch merken können, dass da kein Glitzerhologramm mehr drauf ist, Mensch. Dass der winzige Aufdruck „Fahrausweis im VRS“ fehlt, hätte ich wahrscheinlich auch erst spät bemerkt.

Irgendwann wissen also fast alle, dass es kein Ticket mehr gibt. Und dann?

Der AStA wird vielleicht mehrere wütende E-Mails mit fehlender Rechtschreibung und übermäßiger Interpunktion!!!!11 erhalten, ist dafür aber eigentlich gar nicht zuständig. Die BAStA bekommt mal wieder zwei Leserbriefe, die dann auf der 7. Seite abgedruckt werden und niemanden interessieren. Und 85,7 % der Studierendenschaft werden kurz empört aufschreien und in den darauf folgenden Jahren nicht müde werden zu erwähnen, dass „die AStA damals das Semesterticket abgeschafft hat“ und das alles ganz große Spacken seien.

Diese 85,7 % sind die Nichtwähler.

Ich bin überzeugt, dass eine große Korrelation bestehen würde zwischen denen, die bei der SP-Wahl keine Gummibärchen abgegriffen haben, und denen, die am lautesten schreien und dann aber doch nichts tun würden.

Auf eine SP-Sitzung laufen und die Deppen mal richtig zur Sau machen? Nee, das ist ja Aufwand. Da muss man ja was tun. Iiih.

Bei der nächsten Wahl jemanden wählen, der das Ticket wieder einführen will? Da müsste man sich ja in-for-mie-ren! Bäh!

Selber eine solche Liste gründen und mit wehenden Fahnen ins SP einzieh… okay, utopisch.

Ich bin die Bonner Hochschulpolitiklandschaft jetzt seit zwei Jahren am quälen1. Und wenn ich eines festgestellt habe, dann das: Eine interessierte Öffentlichkeit ist extrem wichtig. Wenn man mal ein bisschen wo herumstochert, kriegen auf einmal alle etablierten Akteure Panik. Und das oft zu Recht – nicht selten hält man sich nur soweit an die Regeln, die man sich selbst gegeben hat, wie es gerade eben nicht stört2. Fies, wenn da mal jemand genauer hinguckt.3

Das heißt also:

  • Wenn ihr das SP toll findet: Geht wählen. Besucht mal eine SP-Sitzung4. Sagt ihnen, dass ihr toll findet, dass sie sich für euch aufopfern. Die freuen sich bestimmt.
  • Wenn ihr das SP hasst: Geht wählen. Besucht mal eine SP-Sitzung. Sagt ihnen, warum ihr sie scheiße findet. Stellt einen Antrag, der dem SP nicht gefällt, der aber so sinnvoll ist, dass man ihn nicht ohne Gesichtsverlust ablehnen kann. Nutzt die Möglichkeiten, die euch Satzung und Geschäftsordnung geben5.
  • Wenn euch das SP so egal ist wie ein Stück Brot: Geht wählen. Zeigt ihnen dadurch, dass ihr sie trotzdem nicht unbeobachtet machen lasst, was sie wollen. Viele Leute meinen: Durch eine niedrige Wahlbeteiligung zeigt man den Leuten, dass sie nicht legitimiert sind. Ich sage: Das ist Humbug. Das SP wird auch mit einer Wahlbeteiligung von 5 % weiterwurschteln wie bisher. Durch eine noch niedrigere Wahlbeteiligung sagt ihr lediglich: Macht was ihr wollt, es guckt eh keiner.

So, ich muss los, noch einen Antrag an den Ältestenrat schreiben. Als einfacher Student. Crazy, was. Aber möglich6.

  1. und den rheinischen Duktus seit ebenso langer Zeit am lernen. Aber net aktiv. Das nur so am Rande
  2. Das gilt aber keinesfalls nur für die verfasste Studierendenschaft, sondern auch zum Beispiel für die Universität selbst.
  3. Warum findet eigentlich der Großteil der Sitzungen von universitären Gremien komplett geheim statt? Wenn man dann stellenweise die Begründung „interessiert doch eh Keinen“ hört, könnte ich wieder sooo einen Hals bekommen. Und kommt mir jetzt nicht mit „Datenschutz!!111elf“ oder „Betriebsgeheimnis!!!111“. Dann kann man notfalls für einzelne Tagesordnungspunkte die Öffentlichkeit ausschließen.
  4. Die Termine stehen hier im Blog sogar meistens in der Seitenleiste.
  5. Dazu müsste man sie aber erstmal Lesen. Aufwand, ich weiß. Schlimm schlimm schlimm.
  6. Soooo viele Fußnoten!

Wie rechnet der Wahl-O-Mat?

Vor den letzten Wahlen war der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) immer ein nettes Spielzeug. Was mich aber schon immer gestört hat: Nirgends lässt sich die Information finden, nach welchem System der Wahl-O-Mat die Ähnlichkeitsberechnung vornimmt. Nur bei den angezeigten Balkendiagrammen findet sich in Form eines Tooltips ein Hinweis darauf, dass das alles irgendwie auf einem Punktesystem basiert.

Durch hartnäckiges Reverse-Engineering kann ich nun hier the one and only Punktesystem des Wahl-O-Mat der bpb präsentieren:

Die Antworten der Testperson (das bist du) werden mit den vorgegebenen Antworten der Parteien abgeglichen.

  • Stimmt die Antwort überein, werden der Partei 2 Punkte gutgeschrieben;
  • Weicht die Antwort leicht ab (Zustimmung/Neutral oder Neutral/Ablehnung), wird der Partei 1 Punkt gutgeschrieben;
  • Sind die Antworten entgegengesetzt, gibt es keine Punkte für die Partei;
  • (Vermutung, da Situation sehr unwahrscheinlich:) Hat eine Partei eine Frage nicht beantwortet, gibt es ebenfalls keinen Punkt.

Eine Frage, die die Testperson übersprungen hat, wird nicht gewertet. Entsprechend gibt es dann insgesamt weniger Punkte zu erreichen.

Eine Frage, die doppelt gewichtet werden soll, wird doppelt gewichtet, das heißt, für sie wird die doppelte Punktzahl gutgeschrieben (0/2/4). Entsprechend gibt es insgesamt mehr Punkte zu erreichen.

Wer am Ende die meisten Punkte hat, gewinnt, und darf in der Übersicht ganz links stehen.

So einfach ist das. Hätte man auch selber draufkommen können.

Warum Claudia Lücking-Michel von der CDU im September meine Stimme mit großer Wahrscheinlichkeit vermutlich nicht bekommen wird

(Nachdem die Frau Ellebil mit ihren „Warum…“-Erklärbär-Artikeln so erfolgreich ist, kopieren wir das hier einfach mal dreist.)

Ich kommuniziere meine Wahlentscheidungen grundsätzlich nicht – egal, ob es um die Volksabstimmung zum Nichtraucherschutz in Bayern, die Landtagswahl in NRW oder die SP-Wahl an der Uni Bonn geht. Weil ich es kann. Schon super, diese Grundrechte.

Allerdings möchte ich doch darlegen, warum Frau Claudia Lücking-Michel von der CDU im September bei der Bundestagswahl meine Stimme mit großer Wahrscheinlichkeit vermutlich nicht bekommen wird. Dies hat nämlich primär gar nichts mit Politik zu tun. Sondern mit, sagen wir, „menschlichem Spezialexpertentum“.

Im Sommersemester, wenn das Wetter angenehm ist, kommt man von Auerberg nach Poppelsdorf am schnellsten mit dem Rad. An bis zu drei Tagen der Woche war dies in diesem Semester mein Weg zur Uni. Dabei kommt man auch am Chlodwigplatz vorbei, einem lauschigen Plätzchen mit Brunnen abseits der großen Kreuzung auf dem Kaiser-Karl-Ring, dort wo die Linie 61 auf die Kölnstraße einbiegt. Der gemeine Radfahrer auf dem Weg zur Uni hingegen wechselt umgekehrt von der Kölnstraße auf den Kaiser-Karl-Ring. Und hier kommt Frau Lücking-Michel ins Spiel.

Seit etwa zwei Wochen tauchen in Bonn überall Malungen ihres bezaubernden Antlitzes auf großen Plakaten auf, die von jungen dynamischen Burschen jenseits der 60 an allem befestigt werden, was bei Drei noch wie ein Metallpfosten aussieht. Und raten Sie mal, welchen Pfosten die Wahlkampf-Boyz sich ebenfalls ausgeguckt haben! Ja!

Claudia Lücking-Michel steht, nein, hängt im Weg

Claudia Lücking-Michel steht, nein, hängt im orange eingezeichneten Fahrweg.

Nun werden einige von Ihnen sagen: „Was jammert der denn so. Stört doch nicht.“ Denen aber sage ich: Na doch. Das Plakat hängt da schon sehr fett in den Radweg hinein.

Kein Vorbeikommen an Claudia Lücking-Michel

Kein Vorbeikommen an Claudia Lücking-Michel

Selbst eine Drehung des Plakats um 90° würde nicht viel bringen, da dann der von Norden kommende Radverkehr noch stärker beeinträchtigt würde. Die einzig mögliche Lösung: Abwähl… äh Abhängen. Gibt ja noch genug andere Pföstchen, von denen herab ihr bezauberndes Antlitz einen anstarrt.

So viel also zur morgendlichen Blutdrucksteigerung der letzten beiden Wochen.

Heute waren die Wahlkampf-Boyz dann noch zusätzlich vor meinem Fenster unterwegs (deshalb kenne ich auch ihre Altersstruktur). Zunächst hatte es den Anschein, als wollten sie folgende Installation vornehmen:

Wonach es aussah (Fotomontage)

Wonach es aussah (Fotomontage)

Das wäre dann doch zu viel des Guten gewesen. Vielleicht spürten sie die negativen Schwingungen. Jedenfalls hängt Frau Lücking-Michel jetzt um 90° gedreht und zum Glück für uns beide außerhalb meiner Reichweite. Bin ich froh, wenn dieser Wahlkampf vorbei ist und die Politikergesichter wieder aus dem Stadtbild verschwinden.

Wobei – das Plakat der GHG vor der LVR-Klinik, das eigentlich im Februar wieder entfernt werden sollte, gammelt da immer noch herum.

Ich bin zu klein. Zum Glück.

Ich bin zu klein. Zum Glück.

Update (23.07.):