DkW | Kapitel 11: Die Auszählung

Sven Zemanek hat an der Uni Bonn fünf Jahre lang Wahlen zum Studierendenparlament organisiert. Damit nachfolgende Generationen von dieser Erfahrung profitieren können, entsteht die Artikelserie „Die kleine Wahlleiter“.

Die Wahlauszählung ist eine nichtdeterministische Funktion, die eine Menge versiegelter Urnen in die Zahlen für ein vorläufiges1 amtliches Endergebnis überführt.

Warum nichtdeterministisch? Nun, die Auszählung wird von Menschen durchgeführt, und Menschen machen Fehler. Bei der Auszählung ist es wichtig, diese Fehler zu entdecken und zu korrigieren.

Zum Glück gibt es die elektronische Datenverarbeitung, die einen Großteil der Fehlersuche übernehmen kann. Anschaulich erklärt:

Angenommen, für eine Menge an Urnen gebe es genau ein korrektes Ergebnis2. Dann existieren neben diesem korrekten Ergebnis viele weitere inkorrekte mögliche Ergebnisse. Von diesen sind einige wahrscheinlicher als andere. Dass sich Auszählhilfen mal um eine Stimme verzählen ist zum Beispiel wahrscheinlicher, als dass alle Stimmen einer Urne aus Versehen als Enthaltung gewertet werden.

Das Ganze kann man sich grob als Wahrscheinlichkeitsverteilung vorstellen:

Sieh doch nur Mutti, eine Schlange die einen Elefanten gefressen hat!

Bei den vorstellbaren inkorrekten Ergebnissen sind nun viele dabei, bei denen die Zahlen hinten und vorne nicht passen. Fehler beim Zählen, beim Hören oder beim Zahlen abtippen führen gern zu falschen Listen- oder Gesamtsummen. Die kann ein spezielles Computerprogramm („Auszählsoftware“) erkennen und dann Alarm schlagen. Damit sind die meisten inkorrekten Ergebnisse schon einmal verhindert, und es verbleiben nur Ergebnisse, die in sich konsistent sind.

Ein Zaubertrick: Der Elefant ist verschwunden! Und mit ihm die meisten falschen Ergebnisse.

Die Auszählsoftware kann ein konsistentes inkorrektes Ergebnis leider nicht vom korrekten Ergebnis unterscheiden. Deshalb muss die Wahrscheinlichkeit für ein falsches Ergebnis so weit wie möglich nach unten gedrückt werden.

Abbildung ähnlich.

Wie? Durch ganz langweilige organisatorische Maßnahmen während der Auszählung.

Eine Auszählung organisieren

Man nehme:

  • Verpflegung für die Auszählhilfen und den Wahlausschuss
  • Auszähltische3
  • In Auszählteams eingeteilte Auszählhilfen, ca. ein Team pro Tisch, eine Tischleitung4 pro Team
  • Zwei Auszählcomputer, mit Auszählsoftware bestückt
  • Viele instruierte Wahlausschussmitglieder
  • Werkzeug (zum Öffnen der Urnen und zu ihrer Reinigung, Taschenrechner, Stifte, Schmierpapier)
  • Mit Stimmzetteln gefüllte Urnen, idealerweise von dieser Wahl
  • Auszählbögen5
  • Optional: Irgendwas zur Bekanntgabe vorläufiger Auszählergebnisse

Zunächst sollte man die Auszählhilfen an die Verpflegung lassen. Oft kommen sie direkt von ihrem Einsatz an der Urne, und hungrig zählt es sich schlecht.

Hernach geht es an die Öffnung und Zählung der Urnen. Die Auszählteams sitzen an ihren Tischen und bekommen von Wahlausschussmitgliedern nach und nach Urnen gebracht, geöffnet und geleert. Die Öffnung wird natürlich im Urnenbuch notiert und unterschrieben.

Der Stimmzettelhaufen wird zunächst grob nach Listen sortiert. Stimmzettel, die nicht standardkonform sind (z.B. mehrere Markierungen, ungültige Stimmen oder Enthaltungen) landen auf einem extra Stapel.

Dann werden die Listenstapel nach Kandidierenden sortiert. Währenddessen gehen zwei Wahlausschussmitglieder den Sonderstapel durch und entscheiden für jeden Stimmzettel im Stapel, ob es sich um eine Enthaltung, eine ungültige Stimme oder eine gültige Stimme (und für wen/welche Liste) handelt. Sind die beiden Wahlausschussmitglieder sich uneinig, darf der gesamte Wahlausschuss abstimmen und entscheiden. Die Entscheidung wird auf der Rückseite des Stimmzettels vermerkt und von beiden unterschrieben, dann werden die Stimmzettel des Sonderstapels in die übrigen Zettel einsortiert.

Erst jetzt wird überhaupt angefangen, etwas zu zählen.

Gezählt werden zunächst die Gesamtstimmzahlen für die Listen, dann die Stimmen für die Kandidaturen, die Listenstimmen, die Enthaltungen und die ungültigen Stimmen. Bevor etwas im Auszählbogen eingetragen wird, muss es zweimal von verschiedenen Personen gezählt werden (mit dem selben Ergebnis natürlich). Die Gesamtstimmzahl wird dann mit einem Taschenrechner aufsummiert (auch das doppelt prüfen!) und eingetragen. Man könnte auch die Gesamtzahl zählen lassen, aber das dauert erfahrungsgemäß sehr lange und ist sehr fehleranfällig.

Die ausgezählten Stimmzettel werden zu einem handlichen Paket gepackt und zu den Auszählrechnern gebracht, wo das Ergebnis von einem Wahlausschussmitglied und einer weiteren Auszählhilfe vom Auszählbogen in die Auszählsoftware übertragen wird. Stellt die Auszählsoftware hier einen Fehler fest, lässt der sich entweder direkt beheben, oder das Paket geht zur erneuten Auszählung zurück an einen anderen Tisch. Wichtig: Korrekturen des Auszählbogens erfolgen nur in Verbindung mit erneutem Nachzählen!

Nun steht oben etwas von zwei Auszählcomputern. Das hat einen Grund: Bislang haben wir noch nichts gegen falsche,  aber konsistente Ergebnisse unternommen.

Wie entstehen falsche konsistente Ergebnisse?

Wenn wir wissen, was schief gehen kann, können wir im nächsten Schritt überlegen, wie wir diese  Probleme behandeln. In den vergangenen Jahren sind die folgenden Fehler aufgetreten:

Problem: Die Stimmen für eine Kandidatur werden bei der falschen Person eingetragen
Potenziell Auswirkung auf: Platzierung beider Kandidaturen
Bewertung: Sucks to be you.

Problem: Ein Stimmzettel wird übersehen, weil er sich geschickt im Haufen versteckt oder an einem anderen klebt
Potenziell Auswirkung auf: Gesamtstimmzahl, Listenstimmzahl/Enthaltungen/Ungültige, Platzierung der Kandidatur, Sitzverteilung
Bewertung: Unschön bis OMG ALLES IST JETZT ANDERS.

Problem: Ein Kreuz wird übersehen und der Stimmzettel wird deshalb aus versehen als Enthaltung gewertet / nicht als ungültig gewertet / …
Potenziell Auswirkung auf: Listenstimmzahl/Enthaltungen/Ungültige, Platzierung der Kandidatur, Sitzverteilung
Bewertung: Unschön bis OMG ALLES IST JETZT ANDERS.

All dies ist mindestens unschön, führt aber in ungünstigen Fällen zu einer fehlerhaften Besetzung des neuen Studierendenparlaments.

An Wahrscheinlichkeiten schrauben

Die Auszählung wird so organisiert, dass die Stimmzettel jeder Urne zweimal gezählt werden, und zwar von verschiedenen Auszählteams. Diese beiden Ergebnisse werden von verschiedenen Personen an jeweils einem Computer in die Auszählsoftware eingetippt. Als Resultat erhält man zwei voneinander unabhängige Auszählergebnisse auf zwei Computern.

Diese beiden Ergebnisse werden verglichen, und bei Unstimmigkeiten werden, ggf. auch durch erneute Auszählung, die korrekten Werte ermittelt. Damit es ein Fehler von oben in das Endergebnis schafft, müsste also der selbe Fehler in beiden voneinander unabhängigen Auszählungen vorhanden sein.

Um diese Wahrscheinlichkeit möglichst gering zu halten, ist es besonders wichtig, dass bei der zweiten Auszählung von Stimmzetteln die Sortierung aus dem ersten Lauf genau überprüft wird. Nur so können übersehene Stimmen oder fehlerhafte Zuordnungen entdeckt werden. Daher sollte man den Auszählhilfen besser doppelt und dreifach erklären, dass sie in der zweiten Runde nicht einfach nur nachzählen, sondern neu auszählen müssen.

Wir halten fest: Nachdem ein Stimmzettelpaket in einen Auszählrechner eingetippt wurde, geht es mit neuem Auszählbogen an einen neuen Auszähltisch. Hat der ein Ergebnis festgestellt, so wird dieses im anderen Auszählrechner eingetragen.

Tipp: Nutzt zwei verschiedene Farben für die Auszählbögen, zum Beispiel hellgelb und hellrosa6. Ein Auszählrechner tippt nur hellrosa Bögen ab, der andere nur hellgelbe Bögen. Damit beide immer etwas zu tun haben, bekommet in der ersten Auszählrunde die Hälfte der Urnen hellgelbe Auszählbögen und die andere Hälfte hellrosa Auszählbögen. Für die zweite Auszählrunde wird dann getauscht. So erhält man zwei zeitlich verschränkte, aber inhaltlich unabhängige Auszählungen. Genial!

Sieht einfach aus, oder?

Aufräumen

Nachdem alle Urnen zweimal ausgezählt wurden, benötigt man eigentlich keine Auszählhilfen mehr. Ein (sich freiwillig meldendes) Auszählteam sollte man noch da behalten, falls ein Auszählrechner sich beschwert und eine Nachzählung fordert. Die übrigen Auszählhilfen können derweil schon einmal den Auszählraum soweit möglich aufräumen und danach nach Hause gehen. Hier empfiehlt es sich für den Wahlausschuss, die magische Ein-Uhr-Grenze zu beachten, ab der jede Auszählhilfe die länger da bleibt extra kostet.

Stimmen die Ergebnisse in beiden Auszählrechnern endlich überein, so hat man das offizielle Ergebnis der Auszählfunktion. Hoffen wir, dass es das korrekte Ergebnis ist.

Die Stimmzettelpakete werden zuletzt mitsamt ihren Auszählbögen und Urnenbüchern im Wahlschrank im AStA eingelagert und der Schrank versiegelt.

Anhang

Merkblatt zur Auszählung, zur Auslage auf den Auszähltischen
Merkblatt zur erneuten Auszählung, zur Auslage auf den Auszähltischen

  1. Warum „vorläufig“? Erstens hieß das schon immer so, und zweitens könnte man behaupten, dass das endgültige amtliche Endergebnis erst nach ggf. erfolgten Korrekturen nach der Wahlprüfung feststeht.
  2. Da es einen Interpretationsspielraum bezüglich der Ungültigkeit von Stimmzetteln gibt, existieren unter Umständen mehrere rechtlich zulässige korrekte Ergebnisse.
  3. Ein „Auszähltisch“ kann auch aus mehreren zusammengestellten Tischen bestehen
  4. Chefin des Auszählteams, leitet dessen Arbeit. Kleine Teams! Voll agil!
  5. Ein Auszählbogen ist in der Regel ein Stimmzettel, bei dem die Ankreuzfelder durch Felder für die Eintragung von Stimmzahlen ersetzt wurden. Außerdem enthält er weitere Felder (Listengesamtstimmzahlen, Ungültig/Enthaltung, Urnennummer+Name, Unterschriftsfeld
  6. Haben wir schon immer so gemacht.

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